Reflektion vor Start + Bezug zur Arbeitswelt + Kanzlerin + Fuß
Bis zum Marathon sind es nur noch wenige Tage. Zeit eine erste Bilanz zu ziehen. Was hat das bis hierher gebracht? Was hat sich verändert? Wie war das Training so? Die kurze Antwort: außer, dass ich mit dem Training immer gut beschäftigt war, hat sich eigentlich gar nichts geändert. Vielleicht bin ich etwas fitter schließlich habe ich 35 Kilometer geschafft, was ich vor 12 Wochen so mal eben nicht geschafft hätte und ich werde 42 Kilometer laufen – oh ja!!! – so oder so. Aber ich bin jetzt nicht disziplinierter, gehe auch nicht anders mit meiner Zeit um, habe mir auch nicht den Alkohol abgewöhnt [wobei mir allerdings die letzten paar Rotwein nicht mehr sonderlich geschmeckt hatten und mir beim Bier alkoholfreies Weißbier durchaus ausreicht] und meine Schlaf- und Essgewohnheiten sind auch die gleichen geblieben. Das ist ziemlich ernüchternd, wenn man bedenkt, dass so ein Training mit ziemlichen Anstrengungen und Überwindungen verbunden ist und sich am Ende nichts verändert hat.
Nun ja, immerhin habe ich bewiesen, dass ich durchaus ein aufwändig umzusetzendes Projekt verfolgen kann ohne dass es mich gleich umbringt, ohne dass mein Leben aus den Fugen gerät. Vielleicht ist dies der Sinn – und die Botschaft – eines Marathons oder eines anderen Ultrasports wie etwa Tough Mudder: dass es sehr viel einfacher ist seine Wohlfühlzone zu verlassen, als man glaubt. Aber das ist ja der Kern jeder sportlichen Betätigung. Man möchte sie nicht nur ausführen, weil man sich dann besser und fitter fühlt, sondern auch um Fortschritte in ihr zu machen, um zu sehen, wie weit man ihre Grenzen – und damit die eigenen – verschieben kann.
Zum Marathon bin ich gekommen, weil ich zum Ausgleich zur Schreibtischarbeit einen Sport gesucht habe, der sich unkompliziert und spontan ausüben lässt. Aber so schön die Strecken im östlichen Kreuzberg und den angrenzenden Bezirken auch sind [Wege am Wasser, in Parks, Wald und dem unschlagbaren Tempelhofer Feld mit seinen fantastischen Sonnenuntergängen im Frühjahr und Herbst], irgendwann wird es langweilig und Wettbewerbe wie zuerst der Halbmarathon, dann der BIG25-Lauf und jetzt der Marathon selbst fingen an einen enormen Reiz auf mich auszuüben, um dem immer gleichen Laufritual zu entkommen, um eine Schippe drauf legen zu können, meine wahren Grenzen austesten zu können. Natürlich stellte ich mir die Frage: kann ich das schaffen? Bisher lautet die Antwort immer: aber selbstverständlich!!! – Und mit dieser Haltung werde ich am Sonntag auch den Marathon angehen.
Schade ist, dass einem dies in der Arbeitswelt im Grunde nie zugestanden wird. Es ist nicht möglich mal was Neues auszuprobieren, das man nicht schon zwanzig Jahre gemacht hat. Kaum einer traut einem zu Unbekanntes in Angriff zu nehmen. Dabei ist das Prinzip hier wie dort dasselbe: man hat ein Ziel und arbeitet darauf hin. Die Kanzlerin hatte nicht Unrecht, als sie angesichts der hohen Flüchtlingszahlen sagte: „Wir schaffen das!“ Das ist die richtige Einstellung: das Wollen, egal wie unwahrscheinlich die Umsetzung auch erscheint. Die Details dazu ergeben sich ohnehin erst auf dem Weg zum Ziel. Solange dies nicht aus den Augen verloren wird und solange Motivation und Energie vorhanden sind, um das beste Ergebnis abzuliefern, steht einem Erfolg auch nichts im Wege. Beim Training für den Marathon ist es nicht anders: die verschiedenen Trainingseinheiten, also Zwischenschritte, geben Auskunft darüber, ob man auf dem richtigen Weg ist. Es gibt natürlich Schwankungsbereiche, aber fallen sie tatsächlich schlecht aus, muss man schauen, was man ändern muss, damit man sein erklärtes Ziel erreicht. Was man aber auf gar keine Fall tun darf, ist aufgeben oder wieder von vorne anzufangen. Damit geht nämlich alles verloren, was bis dahin geleistet wurde. Und: Gleichzeitig gehen auch die Erfahrungen, die man aus Fehlern zieht, verloren und werden dadurch neu gemacht, immer und immer wieder bis man sich in „Und täglich grüßt das Murmeltier“ wähnt.
Ach ja: dem Fuß geht es wieder super – bleibt zu hoffen, dass er mich auch wie geplant in deutlich unter vier Stunden ins Ziel trägt!
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