Keine Animation für Erwachsene in Deutschland

2 Okt

Als ich beim 28. Cartoon Forum in Toulouse in der Präsentation des Animationsprojekts Brazen saß, dachte ich mir: „Das ist die Art Serie, für die es ARD und ZDF gibt. Warum können die sich nicht mal den Stock raus ziehen und ihr Programmschema umstellen?!“ Brazen ist eine auf einem erfolgreichen Comic basierende Serie, die in drei-minütigen Folgen Frauen vorstellt, deren Tun nachhaltige Auswirkungen auf Gesellschaft, Politik und Kultur hatte.

2017-09-25-1506358522-3499016-Brazen3HorizontalImage.jpg
Brazen von Sarah Saidan & Emilie Valentin nach dem Comic „Les Culottées“ von Pénélope Bagieu (c) Agat Films & Silex Films

Abgesehen dass man mit dieser Serie spannende, oftmals unbekannte Biografien kennen lernt, ist es das Format, was den eigentlichen Reiz ausmacht: mit Animation lassen sich Geschichten künstlerischer, packender, komprimierter, neuartiger erzählen. Das ist nicht zu unterschätzen, wenn man ein Publikum erreichen möchte, das schnell gelangweilt ist und dann zum Smartphone greift, um lieber zu chatten. Besteht eine Serie aus kurzen Folgen wie bei Brazen – was übrigens frech, dreist, unverschämt heißt – lässt es sich zudem gut unterwegs ansehen. Doch auch dafür müssten sich ARD und ZDF stark verändern. Sie bräuchten eine gemeinsame Mediathek, die wie Netflix funktioniert. Um ihnen auch mal beizuspringen: die hätten sie nur zu gerne, aber ein starker öffentlich-rechtlicher Streamingkanal wird vom Kartellamt und einer Gesetzgebung verhindert, wodurch unfreiwillig US-Konzerne begünstigt und deutsche Unternehmen behindert werden – so it goes!

2017-09-25-1506358859-2730604-Romanticism3HorizontalImage.jpg
Romanticism von Amélie Harrault und Dan Franck (c) Silex Films

Da die deutschen Sender aber nicht bereit sind sich zu bewegen und allen ihren Gebührenzahlern etwas für ihr Geld zu geben, kommt die ganze tolle Animation für Erwachsene höchstens aus Versehen nach Deutschland. Nämlich dann, wenn arte Frankreich an einem Projekt beteiligt ist und es auf dem deutsch-französischen Sender arte ausgestrahlt wird. So etwa Romanticism, der Nachfolgeserie von Die Abenteuer Moderner Kunst. Geht es in der ersten Serie um Künstler in Paris zwischen 1900 und 1945, erzählt Romanticism Anekdoten und Geschichten von Künstlern zwischen 1830 und 1870, aber auch wie sich der Stadtraum von Paris in dieser Zeit verändert hat, das in der 2ten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch Baron Haussmann komplett umgebaut wurde.

2017-09-25-1506358951-7134353-CartoonForum2017CARTOON3.jpg
Brothership – Die Abenteuer des jungen Störtebeker – ohne Unterstützung eines Senders geht es nicht (c) CARTOON

Kein Innovationswille bei Sendern?
Ob Animation für junge und ältere Erwachsene einen Platz im Fernsehprogramm finden, ist allerdings alleine Sache der Sender. Um das abzustellen, müssten sie einfach nur ein bisschen rumbasteln und Platz schaffen. Bei zdf_neo dürfte das kein Problem darstellen und bei ARD und ZDF könnte man einfach vor oder nach heute-journal und/oder Tagesthemen eine drei-minütige Schiene einziehen, wo dann wahlweise Animation, tagesaktuelle Comedy, staatsbürgerliche oder allgemeine Erziehung stattfindet – wodurch dann endlich auch die Rückkehr der einstigen Kult-Serie Der 7. Sinn möglich würde.

2017-09-25-1506359166-6605070-Autocafet2VerticalImage.jpg
Autocafet – noch so ein schräges Teil für junge Erwachsene – von Théophile Gibaud (c) kawanimation

Dass Erwachsenenanimation eine echte Chance für die linearen Sender ist, neue Zuschauergruppen für sich zu gewinnen, das sieht auch Cartoon Forum-Chef Marc Vandemeyer so und rät den Sendern daher aufs dringendste: „Netflix hat sich Erwachsenenanimation angesehen und ich kann mir vorstellen, dass sie zuschlagen werden. Für die linearen Sender heißt dies, dass sie ihre Programmierung umstellen sollten, um eine neue Generation junger Erwachsener für sich zu gewinnen.“

2017-09-25-1506359387-9820128-DivineConsultants3HorizontalImage.jpg
Divine Consultants – eine finnische Mystery-Serie, die mit nimmt in den Tod, die Hölle und darüber hinaus von Juha Fiilin (c) Film Imaa

Cartoon Forum und seine Bedeutung für die Animationsbranche
Das Cartoon Forum findet jedes Jahr zum Herbstbeginn im französischen Toulouse statt und ist ein Finanzierungsmarkt für europäische Animationsserien. Dort werden neue Serienideen für Vorschulkinder, Kinder allgemein, Familien und junge Erwachsene vorgestellt und Partner gesucht, die dabei helfen diese Serien zu finanzieren, umzusetzen und via Fernsehen oder Streamingdienste unter die Leute zu bringen.

2017-09-25-1506359522-3143040-CartoonForum2017CARTOON5.jpg
Produzentin und Geldgeber im Fachgespräch (c) CARTOON

Es gibt einige Veranstaltungen, wo sich die Animationsbranche trifft, um sich zu vernetzen und neue Projekte zu besprechen, doch keines ist wie Cartoon Forum so gut dazu geeignet auf europäischer Ebene in Kontakt zu bleiben, sich persönlich zu treffen und das Geschäft voran zu treiben. Hier besteht die richtige Mischung aus Produzenten, Investoren, Sendervertretern, Umgebung, Ruhe und Zeit, um sich auszutauschen. Von Getriebenheit und Hektik ist nichts zu merken. Manche Produzenten kommen nur nach Toulouse, um dort in Ruhe mit ‚ihren‘ Redakteuren über die gemeinsamen Projekte zu reden und so weit weg vom hektischen Büroalltag in kurzer Zeit zu konkreten Ergebnissen zu kommen.

2017-09-25-1506359745-9428918-ChickenOfTheDead3HorizontalImage.jpg
Chicken of the Dead von Christophe Blanc, Yacine Badday, Florent Guimberteau und Julien David (c) Anoki & Melting Productions

Bürgermeister von Toulouse besucht Cartoon Forum
Dass Animation in Frankreich einen extrem hohen Stellenwert hat, unterstrich der Besuch des Bürgermeisters von Toulouse Jean-Luc Moudenc, der zugleich auch der Präsident der Metropolregion Toulouse ist. Der Besuch beschränkte sich nicht auf ein paar warme Worte zur Eröffnung, er besuchte tatsächlich eine Präsentation. Keine harmlose für Kinder, er sah sich das ziemlich heftige Chicken of the Dead an, eine wüste Geschichte, um Konsumenten, die sich nach dem Genuss von ‚Quasi-Bio‘-Hähnchen in humanoide Zombie-Hühnchen verwandeln.

Chicken of the dead // Teaser from anoki on Vimeo.

So wie sich der Bürgermeister für die Präsentation begeistern konnte, war eindeutig klar, dass dieser Besuch alles andere für ihn war, als ein Pflichttermin. Einerseits, weil er mit Animation ganz offensichtlich etwas anfangen kann; anderseits, weil Toulouse und die umliegende Region Occitanie -Pyrénées-Méditerranée von der Animationsindustrie und von Cartoon Forum richtig fett profitieren. 2016 investierte die Region 850.000 Euro in die Animationsindustrie. Davon erwirtschaftet jeder eingesetzte Euro 20 Euro an Wirtschaftsleistung, wovon 7 Euro in die Schaffung von Jobs flossen. Insgesamt pro Jahr etwa an die 1000 Minuten Animation in der Region hergestellt. „Das Cartoon Forum hat unserer Region stark genutzt“, erklärte die Vizepräsidentin der Region, Dominique Salomon. Bürgermeister Jean-Luc Moudenc verwies darauf, dass sich die Zahl der hergestellten Filme in den letzten Jahren verfünffacht hat und die Zahl der Zuschauer von 2 auf 20 Millionen gestiegen ist. Marc Vandeweyer, General-Direktor von CARTOON, die den Finanzierungsmarkt organisiert, witzelte bei der Eröffnung, dass die Animation der Region erfolgreicher ist als der in Toulouse ansässige Luftfahrtkonzern Airbus, „wenn auch nicht gemessen an dessen Umsatz“.

2017-09-25-1506359590-6547499-CartoonForum2017CARTOON6.jpg
Toulouses Bürgermeister Jean-Luc Moudenc macht sich einen angenehmen Tag außerhalb des Büros (am Tag zuvor empfing er den Präsidenten der Republik – das war bestimmt nicht ganz so unterhaltsam ;)) (c) CARTOON

Französische Animation ist der beneidete Platzhirsch in Europa
Die Franzosen lieben Comics und Animation. Bei Cartoon Forum und dem Schwesterevent Cartoon Movie im März in Bordeaux stellen sie mit Abstand immer die meisten Projekte vor. Das liegt daran, dass sie extrem gut gefördert werden. 60 bis 70 Prozent des Geldes kommt aus öffentlicher Förderung und vom französischen Fernsehen. Hier sind öffentlich-rechtliche und private Sender gleichermaßen in der Pflicht. Das dies anderen Ländern sauer aufstößt, ist da nur zu verständlich. Ein echter Wettbewerb ist das nicht. Während die Franzosen alleine produzieren können und die Finanzierungslücke mit Lizenzverkäufen füllen, müssen fast alle anderen Koproduzenten suchen, und Koproduzenten dürfen, ja müssen sogar, mitreden bei Geschichten, Charakteren, Artwork, … . Welcher Kreative will das schon?! Da schaut man auch mit gemischten Gefühlen auf die Initiative „Animation Plan for Europe„. Einerseits wird sie begrüßt, da mit ihrer Hilfe die europäischen Fördermittel für Animation effizienter eingesetzt werden soll, anderseits befürchtet man, dass die Franzosen, die die Initiative gegründet haben und führen, mehr ihre, als die europäische Animationsindustrie im Blick haben. Dabei gibt es unabhängig von nationalen Befindlichkeiten drei Hauptherausforderungen, die die gesamte europäische Animationsindustrie betreffen:

  1. Europäische Animationstalente müssen in Europa gehalten werden. Das geht jedoch nur, wenn man ihnen hier gut bezahlte und dauerhafte Jobs anbieten kann.
  2. Die Finanzierungsprobleme müssen gelöst werden. Tatsächlich gibt es zu wenig Geld auf dem Markt, weil das vorhandene breiter gestreut wird. Auch gibt es ein Cash-Flow-Problem.
  3. Das Marketing für Animation muss verbessert werden. Auch das bedeutet: mehr Geld.

Welcome to the world of European Animation from CARTOON on Vimeo.

Anderseits ist es unbestritten so, dass sich kein Land so intensiv um Animation kümmert wie Frankreich. Der Event Cartoon Springboard wird im kommenden Jahr von Halle/Saale nach Frankreich umziehen. Der Vertrag mit Toulouse über das Cartoon Forum läuft Ende 2018 aus, wird aber ziemlich sicher verlängert, weil es überhaupt keinen Interessenten in ganz Europa gibt, der es übernehmen möchte. Die Kosten dafür wären auch ziemlich hoch. Cartoon Forum und Cartoon Movie kosten jeweils 1,6 Millionen Euro. Davon bezahlt der Gastgeber rund 700.000 Euro. In Frankreich teilen sich die Kosten die Stadt, die Region und der nationale Förderer CNC.

2017-09-25-1506360264-5238274-MabelCleansUp3HorizontalImage.jpg

Mabel Cleans Up von Viola Lippmann (c) Viola Lippmann

Deutsche Animationsbranche kämpft sich vor

Ungefähr dreiviertel der deutschen Animationsbranche hat sich in Animation Germany zusammen geschlossen. Die Idee dahinter ist, sich und die eigenen Leistungen im Ausland sichtbarer zu machen. Die deutsche Branche ist auf eine enge Kooperation mit dem Ausland angewiesen, um überleben zu können. Einerseits als Dienstleister, anderseits um eigene Projekte umzusetzen. Zwar gibt es auch in Deutschland Förderung und Unterstützung, die gelegentlich auch schon in der Stoffentwicklung greift, doch die ist immer schwer erkämpft und nicht ausreichend.

2017-09-25-1506360043-9300640-Millie3HorizontalImage1.jpg Liselotte von Lisa Clodt basierend auf „Lieselotte“ von Alexander Steffensmeier, Regie: Dieter Riepenhausen & Cherifa Bakhti (c) WunderWerk und Fabrique d’Images

Bei Cartoon Forum wurden vier deutsche Projekte vorgestellt. Brothership – Die Abenteuer des jungen Störtebeker (unterstützt vom NDR) und Lieselotte (unterstützt vom ZDF), nach dem gleichnamigen Kinderbuch, von WunderwerkMabel Cleans Upvon Viola Lippmann Illustration & Design sowie das ganz großartige, mit einer starken künstlerischen Handschrift versehene Lena’s Farm (unterstützt vom SWR) von Elena Walf und Studio Film Bilder, das auf einem Kurzfilm von Elena Walf basiert.

2017-09-25-1506360168-9363394-Lena_SFarm3HorizontalImage.jpg

Lena’s Farm von Elena Walf (c) Studio Film Bilder

Fakten & Zahlen

In diesem Jahr wurden 82 Projekte aus 23 Ländern vorgestellt. Davon richteten sich 41 Projekte (50 Prozent) an Kinder, 31 (38 Prozent) an Vorschulkinder, sechs Projekte (7 Prozent) an Teenager und junge Erwachsene und vier (5 Prozent) an Familien. Die meisten (56 Projekte/68 Prozent) sollen in klassischer 2D-Animatioon entstehen, 20 bzw. 25 Prozent in 3D-Animation und sechs bzw. 7 Prozent in anderen Formen wie Stop-Motion oder Legeanimation. 38 der Projekte (46 Prozent) sind cross-medial angelegt und sollen auch auf anderen Plattformen weitergeführt werden. In diesem Jahr fanden rund 950 Teilnehmer aus 40 Ländern den Weg nach Toulouse, davon 250 Einkäufer, was die Veranstaltung an den Rand ihrer Kapazitäten führt und einige übervolle Präsentationen zur Folge hatte. Unter den Einkäufern waren auch Streamingdienste wie Netflix und Amazon, die sich zwar viele Projekte angeschaut haben, aber ansonsten versucht haben nicht angesprochen zu werden. Zum ersten Mal dabei war der app-basierte, und daher auch in Deutschland erhältliche, britische Streamingdienst für Serien für Vorschulkinder Hopster TV, der sich nun eine handvoll Projekte näher ansehen will.

2017-09-25-1506360422-2036006-TheSurvivalOfTheSpecies3HorizontalImage.jpg

The Survival of the Species von Paul Jorion & Grégory Makles basierend auf dem unterhaltsamen Wirtschaftsbuch „Das Überleben der Spezies: Eine kritische, aber nicht ganz hoffnungslose Betrachtung des Kapitalismus“ von Paul Jorion & Grégory Makles (c) Xbo Films und Lardux Films

Die Gesamtzahl der in 27 Jahren über Cartoon Forum finanzierten Projekte beträgt 37 Prozent. Das entspricht 711 Serien mit einem Gesamtbudget von ca. 2,5 Milliarden Euro. Für die letzten zehn Jahre beträgt die Quote sogar 42 Prozent, was für die hohe Qualität der angebotenen und von CARTOON vorausgewählten Projekte spricht. Allerdings sind am Ende des Tages die Budgets gute 30 Prozent niedriger. Eingespart wird das dann bei der Produktion. Daher sind solche Erfolgsmeldung immer mit einer gesunden Skepsis zu genießen.

Das nächste Cartoon Forum findet vom 10. bis 13. September 2018 erneut in Toulouse statt.