Es geht wieder los. Die Projektoren glühen, die Sektkorken knallen, der Potsdamer Platz wird zum wuselnden Ameisenhaufen. Doch was hat die Stadt von dem Zirkus? Welche Geschäfte werden außerhalb des Kinosaals abgeschlossen? Und was kostet das alles?
Das Festival
Mit 325.262 verkauften Karten ist die Berlinale nach Toronto mit über 430.000 Karten das zweitgrößte Publikumsfestival der Welt; Toronto hat aber keinen Wettbewerb. 2015 laufen in Berlin 441 Langfilme aus 72 Ländern in 975 öffentlichen Vorstellungen in neun Sektionen und drei Sonderveranstaltungen. Sie wurden aus 7.265 eingereichten Filmen ausgewählt. Cannes hingegen ist übersichtlich: Dort liefen 2014 87 Lang- und 50 Kurzfilme. Dafür hat Cannes aber den bedeutendsten Filmmarkt der Welt.
Die deutschen Filme
Im öffentlichen Programm laufen 59 deutsche Filme. Für die ausländischen Gäste werden 36 Filme bei Lola at Berlinale gezeigt. Hier laufen Filme, die für die Lola, den Deutschen Filmpreis, nominiert sind. Außerdem gibt es noch 30 Filme, die mit deutscher Beteiligung entstanden sind, also koproduziert wurden. Vier dieser Filme laufen auch im Wettbewerb um die Bären. 25 Filme sind vom Medienboard Berlin Brandenburg gefördert worden. Also mit dem Geld der Berliner und Brandenburger Steuerzahler.
Die Kinos
Es gibt 24 Berlinale-Kinos mit insgesamt 60 Sälen. In einigen werden ausschließlich Filme für Filmeinkäufer gezeigt, wie in den kleinen Sälen im Keller des CinemaxX am Potsdamer Platz. Manche Kinos zeigen im Rahmen der Veranstaltung Berlinale goes Kiez nur einmal einen Berlinalefilm. Zur Berlinale werden Theater zu Kinos umfunktioniert, etwa das Theater am Potsdamer Platz, der Friedrichstadtpalast oder das Haus der Berliner Festspiele. Die Ausrüstung mit 4K-Projektoren übernimmt der belgische Hersteller Barco.
Die Preise
Der Goldene Bär geht an den besten Film. Gleich danach kommt der Große Preis der Jury. Einen Silbernen Bären kann man unter anderem in den Disziplinen Regie, beste Darstellerin, bester Darsteller oder „für eine herausragende künstlerische Leistung in den Kategorien Kamera, Schnitt, Musik, Kostüm oder Set-Design“ erringen. Eine Kinderjury verleiht den Gläsernen Bären beispielsweise für den besten Spiel- und Kurzfilm der Sektion Generation. Der Goldene Ehrenbär geht als Auszeichnung für ein Lebenswerk an den Gast der Hommage. Zusätzlich gibt es nicht offizielle Preise von Publikumsjurys oder den Teddy für den besten Schwul-lesbisch-transgender-Film.
Die Mannschaft
In der Vorbereitungsphase sind es 500 Mitarbeiter, während des Festivals 1.300 und den Rest des Jahres halten 40 Leute die Stellung. Der Vertrag des derzeitigen Direktors Dieter Kosslick läuft noch bis 2019.
Die Technik
Schwere Filmrollen und ratternde mechanische Projektoren brauchen nur noch die Retrospektive und die Hommage. In beiden Sektionen werden regelmäßig alte Filme gezeigt, die noch nicht digitalisiert sind. Alles andere läuft digital. Über ein rund 250 Kilometer langes Glasfasernetz kommt der Film dann ins Kino. Alle digital vorliegenden Filme der Berlinale werden im Rechenzentrum der Firma Colt in Moabit in ein einheitliches Format umgewandelt und gespeichert. Zum ersten Mal gibt es eine 10-Gigabit-Anbindung, über die Filme direkt in das Rechenzentrum von Colt hochgeladen werden können. Ein bis zu zweitägiger Kurierversand entfällt nun. Alle Filme zusammen belegen um die 400 Terabyte Speicher. Nachts werden Filmdateien von insgesamt 500 Terabyte auf die Festplatten in den Kinos kopiert. Diesen Transportservice gibt es nur während der Berlinale. Normale Kinos nutzen ihn noch nicht. Damit die Filme nicht gestohlen werden, sind sie verschlüsselt. Damit sie abgespielt werden können, brauchen sie ein spezielles Passwort, den sogenannten digitalen Schlüssel. Der wird per Mail verschickt. Der Schlüssel passt nur, wenn Film, Kino und Vorführzeit übereinstimmen.
Der Wirtschaftsfaktor
Die Filmfestspiele sind für die Stadt ein echter Imagebringer. Von der diesjährigen Berlinale und aus den Taschen ihrer Besucher fließen rund 69 Millionen Euro in die Berliner Wirtschaft. Ein wiederkehrendes Ereignis wie die Berlinale hat auch einen sogenannten Nachlaufeffekt – Geld, das zwar nicht direkt während, aber wegen der Berlinale ausgegeben wird. Das sind für dieses Jahr immerhin weitere 87,5 Millionen Euro. Diese 156,5 Millionen erzeugen etwas über 17 Millionen an Steuern und Abgaben für das notorisch klamme Berlin. Gleichzeitig werden durch die Berlinale bis zu 371 Arbeitsplätze geschaffen beziehungsweise erhalten. Die Berlinale wird jedes Jahr teurer. Dieses Jahr liegt ihr Budget bei 22 Millionen Euro. Davon kommen wie jedes Jahr 6,5 Millionen aus der Schatulle der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika Grütters. Der Rest des Budgets wird durch Ticketverkäufe, Stand- und Akkreditierungsgebühren, Merchandising und Sponsoring erwirtschaftet. Dabei nehmen die Sponsoren und Zulieferer nicht nur Geld in die Hand. Ein Viertel aller Sponsorenleistungen sind Sachleistungen.
Die Sponsoren
Es gibt Technikdienstleister, Getränkelieferanten und Mediendienstleister, ohne deren Dienste das Budget ungleich höher ausfallen würde. Audi stellt rund 300 Wagen und 100 Fahrer zur Verfügung, von denen die offiziellen Gäste kutschiert werden. Das ZDF gibt kein Geld, sondern zahlt in harter Marketing-Währung, indem es über die Filmefestspiele berichtet. Insgesamt wird die Berlinale von rund 40 nationalen und internationalen Unternehmen unterstützt.
Der Markt
Hinterher sind die Zahlen immer größer als vorher, weil immer noch einige Kurzentschlossene zum EFM kommen – dem European Film Market, der im Martin-Gropius-Bau und im Marriott Hotel stattfinden. Zu Redaktionsschluss waren 750 Filme gemeldet. Es wurden 8.129 Fachbesucher aus 98 Ländern erwartet. Davon 490 Ver- und 1.552 Einkäufer. Von den 750 Filmen, die dort angeboten werden, werden 537 zum ersten Mal auf einem Markt präsentiert. Das liegt an den Regeln des EFM: Alte Kamellen, die schon woanders niemanden interessierten, müssen die Verkäufer zu Hause lassen. Um auf dem EFM Handel treiben zu dürfen, brauchen die Ver- und Einkäufer einen Stand. Der kostet 420 Euro pro Quadratmeter, Minimum sind 9 Quadratmeter. Im Marriott kann man Suiten mieten, die ab 16.500 Euro kosten. Damit hat man aber noch kein Kino für seinen Film. Das kostet zwischen 200 und 600 Euro die Stunde. Das Hyatt-Hotel ist der heimliche Hotspot der Filmfestspiele. An der Bar treiben sich Produzenten, Schauspieler und Regisseure rum. Im Lokal Vox des Hyatt hat sich in der Vergangenheit der amerikanische Produzent Harvey Weinstein immer gleich eine ganze Bank hinten in der Ecke gemietet. Dort empfängt er dann zwei Tage lang alle, die er für wichtig hält. Im Hyatt ist traditionell auch immer der Berlinale-VIP-Club, die Golden Bear Lounge.
Der Zugang
Jeder mit einer Akkreditierung kann auf den Markt. Will man nur Filme kaufen, werden 250 Euro fällig. Man kommt aber auch mit einer ganz normalen Festival-Akkreditierung rein. Die kostet 125 Euro, es gibt sie aber nur für Industrievertreter. Das heißt, man muss im Filmgeschäft arbeiten und Mitglied in einem Verband sein. Filmjournalisten bekommen die Akkreditierung für 60 Euro. 2014 waren 8.396 Fachbesucher aus 107 Ländern akkreditiert. Die Preise für Filmrechte werden unter der Hand verhandelt, es geht von 50.000 Euro bis in den Millionenbereich.
Die Förderung
Die Berlinale unterstützt weltweit die Filmindustrie. Mit dem World Cinema Fund fördert sie Filmemacher in Ländern mit keiner oder geringer Filminfrastruktur. Die 300 Teilnehmer aus der ganzen Welt sind meist in ihren Dreißigern. Berlinale Talents ist ein Brutkasten für talentierte Filmemacher, Schauspieler, Kameraleute, Schnittmeister, Tonleute und Autoren. Hier haben sie die Chance, mit Cracks der Filmindustrie, Oscar-Gewinnern und Kultfiguren des internationalen Films zusammenzutreffen und von ihnen zu lernen. Finanziert wird das ausschließlich von Förderern und Industriepartnern. Erstaunlich gering ist das Interesse übrigens bei den heimischen Filmemachern. Gerade Bewerbungen deutscher Drehbuchautoren sind unterrepräsentiert. Da weiß man dann auch, warum die meisten deutschen Filme so schlecht sind.
Die Empfänge und Partys
Es gibt viele Partys und Empfänge, auf die man aber nur per Einladung kommt, etwa den Co-Production Market, der wie eine Partnervermittlung für Produzenten funktioniert. 36 Produzenten dürfen sich dort jedes Jahr für den Bräutigam hübsch machen. Das funktioniert so gut, dass die Produzenten jedes Jahr Schlange stehen. Die Erfolgsquote: 40 Prozent finden einen Partner. Insgesamt gibt es in der Stadt 15 Partys, die offiziell im Zusammenhang mit der Berlinale stehen. Keine dieser Partys ist ohne Einladung zugänglich. Nur bei der Berlinale Shorts Party werden eventuell vorhandene Restkarten an der Abendkasse für 5 Euro verkauft. Wer eine Einladung hat, kann fleißig netzwerken – und trinken. Auf dem großen Empfang des Medienboard Berlin-Brandenburg im Ritz Carlton beispielsweise fließen 150 Liter Wodka und 80 Liter Jägermeister, 850 Kilogramm Essen werden bereitgestellt. Wichtiger als Riesen-Events wie der Medienboard-Empfang sind für Insider sicher kleinere Einladungen, etwa, wenn Produzent Nico Hoffmann zum Dinner ins Grill Royal lädt. Legendär waren auch immer die „Abende unter Freunden“ von David Groenewold, jenem aufstrebenden deutschen Produzenten, über dessen Freundschaftsdienste der Bundespräsident Christian Wulff stolperte – und ein bisschen auch er selbst. Groenewold empfing meist im Springer-Hochhaus, aber auch mal im Borchardt 400 Promis. Die müssen sich nun andere Partys suchen.
Der rote Teppich
Alle roten Teppiche der Berlinale zusammengenommen, hätten eine Fläche von 1.500 Quadratmetern.
Der Beitrag erschien in zitty 4/2015 zur 65. Berlinale